Optometrie

American Academy of Optometry feiert 100. Geburtstag in San Diego

Skyline von San Diego
Die Skyline von San Diego mit dem großen Convention Center in der Mitte.
Privat
veröffentlicht am
16. Dezember 2022
Autor

Wer 100 wird, der darf schon mal mit Stolz auf das Erreichte zurückblicken. Genau das tat die American Academy of Optometry (AAO) beim Kongress in San Diego, ohne dabei die Zukunft zu vernachlässigen. So kann Stefan Schwarz für die DOZ also von Anekdoten, Ehrungen und Rückblicken genauso berichten wie von Innovationen, die vielleicht erst übermorgen auf den Markt kommen werden.


Erstveröffentlicht in der DOZ 12I22

Seit vielen Jahren ist das Motto „Today‘s Research, Tomorrow‘s Practice“ prägend für die Jahrestagungen der American Academy of Optometry (AAO). Diese Überschrift soll die Zukunftsorientierung der Organisation und ihrer Kongresse ebenso zum Ausdruck bringen wie das Bewusstsein, dass alle Innovationen letztlich Instrumente in der Hand von Praktizierenden sind, die damit das Sehen und die Augengesundheit ihrer Patienten erhalten und verbessern möchten. Diese Ausgewogenheit zwischen rein wissenschaftlichen Treffen und kommerziell ausgerichteten Ordermessen macht seit langem den Reiz der AAO-Kongresse aus. In diesem Jahr gab es beim Treffen in San Diego aber eine zusätzliche Besonderheit: Die AAO wurde 1922 in St. Louis offiziell gegründet, sodass sie dieses Jahr ihr 100-jähriges Bestehen feiern konnte.

Natürlich gab es anlässlich des Jubiläums zahlreiche Rückblicke, die sich mit der Geschichte der Organisation befassten. Der Gründung vorausgegangen waren Überlegungen, wie der damals im Werden begriffene Beruf des Optometristen eigenständig, fachlich auf Mehohem Niveau, ethisch einwandfrei ausgeübt werden könnte. Die Gründerväter (es waren in den ersten Jahren tatsächlich ausschließlich männliche Akteure) kamen zu der Überzeugung, dass qualitativ hochstehende Fortbildungen, eine kritische Bewertung und Begrenzung kommerzieller Auswüchse (Versandhandel und Reisegewerbe) und eine angemessene Honorierung erbrachter Dienstleistungen wesentliche Voraussetzungen für die Erreichung dieser Ziele des optometrischen Berufsstands wären. Diese Grundprinzipien wurden über die folgenden Jahrzehnte mit stets aktuellen Inhalten gefüllt und den Bedürfnissen der Zeit angepasst und gelten bis heute fort. Darauf wies Tim McMahon als Präsident der AAO bereits in seiner Begrüßung zu dieser historischen und größten Tagung in ihrer Historie hin.

In einem kurzweiligen Vortrag über die Geschichte der AAO berichtete Donald Mutti, OD und Professor an der Ohio State University, auch über einige aus heutiger Sicht kurios erscheinende Details. So waren die durch Mitgliedsanwärter zu erfüllenden Aufnahmekriterien im Jahr 1923, dass die Kandidaten in einer Praxis arbeiteten, sich an das geforderte Mindest honorar für die Durchführung einer Refraktion in Höhe von drei Dollar hielten und keinerlei werbliche Aktivitäten durchführten. Allerdings konnte man bis 1944 auch noch ein Hotelzimmer für 3,25 Dollar pro Nacht buchen. In den Folgejahren wuchs die Zahl der Mitglieder – die sich übrigens schon früh einer Aufnahmeprüfung unterziehen mussten – zunächst auf 100 (1929), dann auf 134 (1930), um während der Zeit der wirtschaftlichen Depression wieder auf 115 (1932) zu sinken. Die heutige Mitgliederzahl mit über 4.000 Mitgliedern aus den USA und aus aller Welt dokumentiert auch, dass nur etwa zehn Prozent der amerikanischen Optometristen Fellows sind und sich den Anforderungen des Aufnahmeverfahrens gestellt haben.

Jenaer Delegation
Privat

Auch in der Frühzeit der Organisation standen Themen zur Vermeidung, Linderung und Behandlung von Fehlsichtigkeiten auf den Tagungsprogrammen. Mutti zitierte aus Arbeiten damaliger Autoren, die zum Beispiel zur Reduzierung der Myopieprogression „eine Steigerung der Epinephrinausschüttung aus den Nieren durch eine entsprechende Diät und Steigerung der Zeit im Freien“ (M. Wiener, 1927) empfahlen. Auch wurden Visualtherapien und Sehtrainings mit Refraktometern empfohlen, während alle Arten von Prismen zum Zweck der Korrektion als „unbestreitbar toxisch“ (Morris Steinfeld, 1926) eingestuft wurden. Aus heutiger Sicht muten einige Thesen zumindest befremdlich an, während manche Aspekte interessanterweise auch in unserer Zeit noch oder wieder diskutiert werden.

Nachwuchsförderung nicht nur aus eigener Kraft

Eine wesentliche Aufgabe der American Academy of Optometry besteht in der Förderung, Unterstützung und Motivation des Berufsnachwuchses, wissenschaftlich tätig zu werden. Bereits 1930 wurde das erste Research Fellowship an der Columbia University eingerichtet und seit 1949 werden regelmäßig Förderprämien und Stipendien an Bewerber vergeben. Diese Art der Nachwuchsförderung ermöglicht den Stipendiaten, zumindest einen Teil der während des Forschungszeitraumes anfallenden Kosten zu decken. Die Academy vergibt diese Art der Förderung aber nicht nur aus eigener Kraft und eigenem Budget, sondern vermittelt geeignete Kandidaten an unterstützungswillige Unternehmen und Geldgeber, die als Förderer auftreten. Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der Ergebnispräsentation im Rahmen der Poster-Session zu. Hier können Forschungsergebnisse, Fallbeschreibungen und Entwicklungen präsentiert und von Besuchern mit den Autoren unmittelbar diskutiert werden. Sehr erfreulich war aus deutscher Sicht, dass sich Studierende der Ernst-Abbe-Hochschule Jena hier mit ihren Einreichungen gleich mehrfach durchsetzen konnten. In einem strengen Auswahlverfahren – die Ablehnungsquote liegt bei 75 bis 80 Prozent – wählt eine Fachjury die besten Poster aus einer Bewerberzahl von über 1.000 Postern aus. Die Jenaer durften letztlich elf ihrer Poster präsentieren.

Umfrangreiches Fachprogramm

Im Hinblick auf die Förderung der Forschung war auch der Keynote-Vortrag des Direktors des National Eye Institutes (NEI), Michael F. Chiang, MD, sehr interessant. Chiang ist Augenarzt und als Leiter des NEI unter anderem damit beauftragt, über die Vergabe von jährlich über 840 Millionen US-Dollar Forschungsgelder zu wachen. Finanzierungen können beantragt werden, wenn Innovationen erarbeitet, bewertet und weiterentwickelt werden sollen. Forschungsinhalte können dabei aber auch die Verbesserungen von Methoden und Verfahren sein, die alle Arten von Barrieren wie zum Beispiel soziale, ethnische oder Geschlechterbarrieren im Zugang zu Gesundheitsleistungen abbauen und eine barrierefreie Medizin ermöglichen.

Neben allen Jubiläumsfeierlichkeiten stand auch dieses Mal ein umfangreiches Fachprogramm auf der Tagesordnung. Das Besondere bei der Präsentation der Fachthemen ist, dass amerikanische Praktiker zum Erhalt ihrer Berufslizenz regelmäßig anerkannte Fortbildung nachweisen müssen. Deshalb ist für viele Besucher neben der reinen Vortragsthematik auch von Interesse, ob die angebotenen Präsentationen den hohen Anforderungen genügen und von der Akkreditierungsorganisation zertifiziert sind.

AAO Veteranen
Veteranen unter sich (v. l.): Lydia mit Bert Corwin als früherer Academy-Präsident und ältester Tagungsteilnehmer, Stanley Yamane und Wolfgang mit Anette Cagnolati.
Privat

Neben anderen Themen aus dem Bereich der Augengesundheit dominiert das Thema Myopieentstehung, Myopieprogression und myopieassoziierte Veränderungen des Auges weiter das Vortragsprogramm. Allerdings gab es keine spektakulär neuen Erkenntnisse, die die Verfahrensweise im Umgang mit der Myopie in neue Bahnen gelenkt hätten. Umso interessanter waren die Übersichtsvorträge von Karla Zadnik und Jeff Walline. Erstere gab einen sehr guten Überblick über unterschiedliche Thesen zur Myopieentstehung und zum Management der Myopie. In kaum einen Bereich der Optometrie ist in der letzten Zeit so intensiv geforscht und publiziert worden. Als Fazit zur mitunter verwirrenden Datenlage bemühte Zadnik die Metapher von einem Puzzle, bei dem man zwar viele Teile, aber den Deckel mit dem Gesamtbild verloren habe: Man wisse nicht, wo genau die einzelnen Bausteine hingehörten oder ob sie gar zu einem ganz anderen Puzzle gehörten.

Noch einen Schritt weiter ging Jeff Walline, der darauf verwies, dass in der Kommunikation mit Eltern und Patienten unbedingt der Eindruck vermieden werden solle, als sei eine Behandlung zur Myopiekontrolle und Verlangsamung der Progression unbedingt erforderlich, um die Erblindung des Patienten zu verhindern. Die teilweise drastische Kommunikation würde einerseits eine unrealistisch hohe Erwartungshaltung bei Eltern und Patienten auslösen und andererseits die Behandler unter hohen Druck setzen, falls die Myopie nicht im erhofften Umfang in ihrer Progression gebremst werden könne. Besser und angemessener sei eine Kommunikation, die eine Verlangsamung in Aussicht stelle, die zu einer insgesamt nicht zu hohen Myopie führe. Dadurch ergäben sich für Patienten im weiteren Verlauf mehr Möglichkeiten, Sehfehler mit ästhetischeren, preiswerteren Methoden zu korrigieren und auch mehr Optionen, falls eine refraktiv-chirurgische Behandlung in Betracht käme.

Diabetes und Bluthochdruck als Risikofaktoren für Netzhautveränderungen

Neben einer Zunahme an Katarakten und der Erhöhung des Glaukomrisikos ist die Netzhaut der hauptsächliche Bereich, der im Falle einer Myopie entsprechende Veränderungen erfährt. Deshalb ist die regelmäßige Netzhautkontrolle ein wesentlicher Punkt bei der Betreuung myoper Patienten. Moderne Technologien erlauben es, teilweise auch ohne Dilatation der Pupille, die Netzhaut intensiv und weitreichend zu untersuchen. Zum Thema Netzhautveränderungen gab es eine Vielzahl von Vorträgen und Präsentationen. Interessant ist in dem Zusammenhang sicher auch, dass Diabetes und Bluthochdruck als Risikofaktoren für Netzhautveränderungen in den USA stark auf dem Vormarsch sind. Nach aktuellen Zahlen aus dem Jahr 2022 sind davon viele Millionen US-Bürger betroffen: 133 Millionen Amerikaner sind bereits mit Diabetes oder Prädiabetes diagnostiziert, 160 Millionen leiden an Hypertension. Der Optometrist spielt sowohl in der Früherkennung als auch beim begleitenden Monitoring eine wichtige Rolle.

Spannende Innovationen, leider teilweise noch ohne Zulassung

Begleitend zum Vortragsprogramm stellt die augenoptische und pharmazeutische Industrie im Rahmen einer großen Industrieausstellung neue Produkte vor. Interessanterweise präsentierten sich hier auch Anbieter mit Innovationen, die teilweise noch keine Zulassung haben und somit auch im Markt noch nicht zur Verfügung stehen. Ein spannendes Konzept zur Behandlung von Demodex stellt die Firma Tarsus vor. Bei Demodex handelt es sich um Haarbalgmilben, die die Wimpernregion besiedeln und dort zu Juckreiz und Entzündungserscheinungen führen können. Verschiedene Autoren beschreiben, dass bis zu 40 Prozent der über 50-Jährigen unter Demodex leiden. Tarsus hat nun nach eigenen Angaben eine Tropflösung entwickelt, die bei regelmäßiger Anwendung ein Verschwinden der Demodex in zwei bis drei Wochen verspricht. Entsprechende Studien seien gemacht. Das Produkt befände sich in den letzten Phasen vor der Zulassung. Leider sind die angekündigten Produkte natürlich noch nicht frei zugänglich und können in der Praxis noch nicht erprobt werden.

Eine andere, bereits erhältliche Lösung, zielt auf eine schnelle und genaue Diagnostik des Trockenen Auges. Die Firma Versea bietet ein Set bestehend aus einer Mikropipette, einem Lesegerät und verschiedenen Testkassetten für die Testung auf Lactoferrin beziehungsweise zur IgE-Testung an. Die Testkassetten erinnern stark an die Tests, die bei Corona-Testen zum Einsatz kommen. Laut Aussage des Herstellers, ist durch die Anwendung dieser Tests eine schnelle Differenzierung in hyposekretorisch beziehungsweise evaporativ Trockenes Auge möglich. Geringe Lactoferrin- Konzentrationen sprechen für ein hyposekretorisch Trockenes Auge. Der Test auf IgE soll eine mögliche allergische Komponente identifizieren, die unabhängig oder in Verbindung mit einer Trockenen- Auge-Symptomatik auftreten kann. Eine weitere interessante Innovation kündigt die Firma Radius an. Die Programmierer arbeiten daran, verschiedene Funktionsteste wie Gesichtsfelder mit einer VR-Brille durchführen zu können. Aktuell liegen die Systeme preislich noch in der Größenordnung konventioneller Perimeter. Außerdem sind sie zur Zeit nur für den Einsatz unter Aufsicht von Fachleuten konzipiert. Wenn sich jedoch künftig weitere Anwendungen wie Schulungsvideos etc. einbinden lassen, die Systeme preiswerter werden und die Bedienung durch angelernte Kräfte ermöglicht wird, wäre die regelmäßige Durchführung von Untersuchungen auch im ambulanten Bereich, bei immobilen Patienten oder Patienten in schwer zugänglichen Gegenden denkbar.

Vergleiche zwischen verschiedenen Systemen

Die American Academy of Optometry hat ihren einhundertsten Geburtstag mit der bisher größten Tagung in ihrer Geschichte gefeiert und dabei einen interessanten Blick in ihre Vergangenheit und die Zukunft der Optometrie geworfen. Der Besuch der Tagung lohnt besonders für Kollegen, die Vergleiche zwischen verschiedenen Systemen ziehen und sinnvolle Innovationen kennenlernen möchten. Die nächste Gelegenheit dazu besteht in New Orleans vom 11. bis 14. Oktober kommenden Jahres.

Autor: Stefan Schwarz FAAO, MCOptom

ist in eigener Optometriepraxis in Hildesheim tätig. Er erhielt seinen Abschluss als Dipl.- Ing. (FH) 1989 an der Hochschule Aalen. Nach mehrjährigen Fortbildungen in Großbritannien und den USA konnte er sich erfolgreich als Fellow der American Academy of Optometry (FAAO) und Member des College of Optometry (MCOptom) qualifizieren.

Stefan Schwarz Portrait
Privat

E-Learning-Angebote Optometrie

Präsenzveranstaltungen

Bildungsnews